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  Das Buch in 10 Kapiteln  
 
     
1.   Versöhnung und Wiederaufbau
2.   Frauenrechte sind Menschenrechte auf dem Weg zur geschlechtergerechten Demokratie
3.   Den heimlichen, unsichtbaren Krieg gegen Frauen beenden: Frauen, Gesundheit und Frieden
4.   Der Einsatz von Frauen für Gerechtigkeit und Sicherheit im Bereich der Umwelt
5.   Ökonomische Rechte und Existenzsicherung
6.   Politik und Regierungsführung
7.   Gerechtigkeit und Frieden
8.   Tausend pädagogische Wege zu einer globalen Friedenskultur
9.   Kultur als Beitrag zum Frieden
10.   Der Kampf ums Überleben: Minderheiten und indigene Völker

 

 

Versöhnung und Wiederaufbau
Koila Costello-Olsson

Bei der Herstellung des Friedens werden in verschiedenen Phasen des Konflikts unterschiedliche Strategien benötigt.
Bei der Versöhnung geht es darum, Beziehungen zu verwandeln. Versöhnung ist eine Reise, auf der als notwendiger erster Schritt die Behandlung der Traumata der Betroffenen durch eine wiedergutmachende/ausgleichende Gerechtigkeit steht. Für die meisten Menschen ist Versöhnung sowohl ein Prozess wie auch ein Ziel.
In diesem Kontext kann Versöhnung/Wiederaufbau das Wieder-gut-machen von Leib und Seele, von Gemeinschaften und Völkern miteinbeziehen. Dazu kann die Heilung einer im Konflikt verletzten Person oder einer durch den Konflikt zerstörten oder verletzten Beziehung, die Wiederherstellung der Umwelt oder einer ganzen Nation gehören. Der Wiederaufbau eines Nationalstaats hat manchmal zur Schaffung von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen geführt, die die Welt vieles über die Herstellung des Friedens gelehrt haben.
In der Pazifikregion bestehen traditionelle Mechanismen zur Versöhnung ohne Anrufung eines Gerichts. Unsere indigenen Verfahren enthalten Elemente einer wiedergutmachenden Gerechtigkeit. In Neuseeland haben die Maori ein sogenanntes Kreisverfahren, bei der alle an einem Konflikt beteiligten Parteien mit einem oder einer geachteten Mediator/-in zusammenkommen, um die Bedürfnisse der Opfer, die Rolle und die Verpflichtung derer, die Anstoß erregt haben, und die Bedürfnisse, Verpflichtungen und Rollen der Gemeinschaft zu besprechen.
In Fidschi haben wir die traditionelle Kava-Zeremonie, bei der eine Person, die einem anderen Menschen Unrecht getan hat, einen symbolischen Gegenstand, genannt Tabua oder Walzahn, überreicht. Bei dieser Zeremonie wird viel Wert auf Dialog gelegt. Allerdings muss der Dialogprozess noch gestärkt und modifiziert werden, so dass die Zeremonien nicht in Eile geschehen und auch die Meinungen von Frauen und Kindern gesucht und berücksichtigt werden können.
In Bougainville und auf den Salomonen halfen die Frauen, den Friedensprozess in der Krisenzeit zu initiieren. Mit der Unterstützung der Kirchen, vor allem der katholischen Kirche, begannen sie den Prozess und trieben ihn weiter an. Im formalen Verlauf der Entscheidungsfindung der Gemeinschaft wurde ihr Beitrag allerdings nicht offiziell anerkannt.
Im weitaus größten Teil der Welt sind die herrschenden Mächte oft blind gegenüber der Misere von Frauen, Kindern und allen, die unterdrückt werden. Obwohl manche Länder bewunderungswürdige Verfassungen besitzen und internationale Verträge und Abkommen ratifiziert haben, ist es ihnen dennoch nicht gelungen, die strukturelle Gewalt abzubauen, die unmittelbar sekundäre Erscheinungen wie häusliche Gewalt, Gewaltverbrechen, Drogenmissbrauch und Selbstmord zur Folge hat.
Die 1000 Frauen, die wir für den Friedenspreis nominiert haben, sind lebendige Beispiele für das Wort der berühmten Friedensstifterin Elise Boulding: "Wie mein Mann immer sagt: 'Was existiert, ist möglich.’“
Jedes Mal, wenn Versöhnung stattfindet, vor allem zwischen Menschen, die ihr Möglichstes getan haben, um einander zu verletzen, wird uns eine gesegnete Mahnung geschenkt, eine Erinnerung, dass es den Menschen auch möglich ist, mit ihren Streitigkeiten friedlich umzugehen.
Im Angesicht vieler Herausforderungen, trotz der begleitenden Risiken und der von ihnen geforderten Opfer, erbringen Frauen die großartige Leistung, die Saat des Friedens auszusäen und zu pflegen. Die Freude, die Liebe und das Mitgefühl, die mit ihrer Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit einhergehen, bilden die lauteste und eindringlichste Botschaft, die wir in diesem Jahrhundert unbedingt hören müssen.
Es ist uns eine Ehre und ein Privileg, ihr Lebenswerk der Weltgemeinschaft bekannt zu machen. Es gibt viele Lektionen, die wir aus ihren Geschichten lernen können, Lektionen, die unsere Gefühle, Gedanken und Handlungen im eigenen Leben und der eigenen Arbeit beeinflussen sollten. Die Geschichten dieser 1000 FriedensFrauen sollten uns - und besonders der jüngeren Generation - eine Inspiration sein, für eine bessere, gerechtere und menschlichere Welt zu arbeiten.

Koila Costello-Olsson, in den letzten fünf Jahren Koordinatorin des Friedensprogramms von ECREA, Ökumenisches Zentrum für Forschung, Bildung und Interessenvertretung, hat einen Master der Konflikttransformation und Friedensstiftung des Programms für Konflikttransformation der Eastern Mennonite University, USA. Sie ist Beraterin des 1000 FriedensFrauen-Projekts für die Pazifikregion.

 

Frauenrechte sind Menschenrechte auf dem Weg zur geschlechtergerechten Demokratie
Helga Konrad

“Die Menschheit brauchte 2000 Jahre, um die Botschaft, dass alle Männer gleich (mit gleichen Rechten ausgestattet) sind, auch nur zu erahnen. Und erst seit einem winzig kleinen Augenblick der Geschichte, seit etwa drei Jahrzehnten, dämmert ihnen die Katastrophe – nämlich, dass auch alle Frauen gleich (gleichberechtigt und gleichwertig) sind!“ (Alberto Godensi, Wissenschaftler, Freiburg, Schweiz)
Immer wenn die Beziehung zwischen den Geschlechtern kritisch angesprochen wird, stößt man unausweichlich auf Gewalt gegen Frauen – die schlimmste Form der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Selbst wenn wir nicht von der Annahme ausgehen, dass alle Männer Täter und alle Frauen Opfer von Gewalt sind, ist es eine Tatsache, dass die weit verbreitete Gewalt gegen Frauen Auswirkungen auf alle Männer und auf alle Frauen hat und ein Maßstab für den Grad an menschlicher Würde in unseren Gesellschaften ist.
Auch heute noch werden Frauenrechte häufig nicht als Menschenrechte anerkannt – Verletzungen von Frauenrechten sind immer noch sehr häufig die Regel und nicht die Ausnahme und Gewalt gegen Frauen wird sehr häufig als selbstverständlich angesehen. Viele im privaten Bereich begangene Übergriffe auf die Rechte der Frauen werden nicht einmal als Menschenrechtsverletzungen betrachtet.
Frauen auf der ganzen Welt müssen häusliche und sexuelle sowie strukturelle Gewalt erdulden. Aus zahllosen bewaffneten Konflikten und Kriegen in der ganzen Welt wissen wir, dass die Vergewaltigung von Frauen zu einem Teil der Kriegsstrategie geworden ist und dass die Körper der Frauen von Männern für die Ausführung ihrer Feindseligkeiten instrumentalisiert werden.
Es sind die Würde und die Rechte der Frauen auf körperliche und seelische Unversehrtheit, die durch Folter, sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung und nicht zuletzt durch den Menschenhandel von Frauen und Mädchen gezielten, sexistischen Verletzungsformen ausgesetzt werden. Deshalb sind die Probleme von Recht, Gerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen von äußerster und dringender Bedeutung für die Frauen.
Gewalt und Geschlechtszugehörigkeit (gender) sind ein altes Problem, dem wir mit neuem Bewusstsein entgegentreten müssen. Die Entwicklung neuer, demokratischer Beziehungen zwischen den Geschlechtern ist keine einfache Aufgabe, aber sie ist die Voraussetzung für eine friedliche Welt, die auf Gerechtigkeit, Fairness und Gleichberechtigung aufbaut. Auf dem Spiel stehen die Umverteilung von Privilegien, Rollen und Positionen in der Gesellschaft und natürlich die Macht und die Kontrolle der Macht. Eine Gesellschaft, die Gewalt toleriert, ist eine Gesellschaft der Komplizenschaft.
Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte haben Frauen und Frauenorganisationen das Schweigen gebrochen, mussten aber erkennen, dass sie nur die Oberfläche angekratzt und nur die Spitze des Eisberges angetaut haben.
Das Erstarken der Frauen ist sicherlich der Schlüssel zur Prävention von Gewalt. Empowerment von Frauen bedeutet die Etablierung gleicher Chancen für die Geschlechter; es bedeutet die Ausweitung der Wahlmöglichkeiten: zu entscheiden, ob und wann man heiratet, es bedeutet, über Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, über das eigene Leben zu entscheiden. Gleichberechtigung und das Erstarken der Frauen bedeuten auch das Teilen von Macht, es bedeutet einen besseren Zugang zu politischer Führung, es bedeutet die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen und eine Umverteilung in allen Bereichen des Lebens.
Darüber hinaus sind die sogenannten Menschenrechte der zweiten Generation, nämlich die sozialen und wirtschaftlichen Rechte, von grundlegender Bedeutung für Frauen in allen Teilen der Welt. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen ist entscheidend, wenn Gleichberechtigung und Chancengleichheit erreicht werden sollen. Frauen müssen Zugang zu sicherer, gut bezahlter Arbeit haben, als Schlüssel zur Lösung anderer Probleme wie Armut, Ausgrenzung von gesellschaftlicher und politischer Teilhabe und Gewalt.
Vieles muss noch getan werden, um die Welt von der Gewalt an Frauen zu befreien. Die Mechanismen solcher Gewalt müssen analysiert, internationale Vereinbarungen umfassend durchgesetzt und alle Arten von Gewalt gegen Frauen bestraft werden. Es wird bei den Frauen liegen, einschlägige Aktionen zu verstärken, und die Männer sind aufgefordert mitzumachen.
Es könnte ein beachtlicher Fortschritt gemacht werden, wenn die Regierungen auch nur zehn Prozent ihrer militärischen Ausgaben für Frauen, einschließlich des Kampfes gegen Gewalt an Frauen, verwenden würden. Und sie sollten – wie von Greetje den Ouden-Dekkers anlässlich der in Österreich durchgeführten Folgekonferenz zur Vierten Weltfrauenkonferenz von Peking vorgeschlagen wurde – zumindest mit der Frage konfrontiert werden, warum sie dies nicht tun.

Dr. Helga Konrad, eine frühere österreichische Bundesministerin für Frauenthemen, wurde 2004 zur Sondervertreterin der OSZE im Kampf gegen den Menschenhandel ernannt. Von 2000 bis 2004 saß sie der Arbeitsgruppe des Stabilitätspaktes über Menschenhandel in Südosteuropa vor.

 

Den heimlichen, unsichtbaren Krieg gegen Frauen beenden: Frauen, Gesundheit und Frieden
Sima Samar

Zugang zu Gesundheitsversorgung ist ein grundlegendes Menschenrecht. Das Angebot adäquater Gesundheitsfürsorge ist Teil der sozialen Grundversorgung, die jedem Menschen zugänglich sein sollte. Ohne gute medizinische Versorgung für die Menschen, vor allem für Frauen, sind menschliche Sicherheit und Frieden nicht möglich. Gesundheit bedeutet nicht lediglich, dass man laufen kann. Gesundheit bedeutet, dass man Zugang zu Gesundheitsfürsorge und guter Nahrung hat und in einer gesunden Umwelt lebt. Wenn die Frauen in der Gesellschaft nicht gesund sind, wird die Familie nicht gesund sein, wird das Land nicht gesund sein und wird schließlich die Welt für die Menschheit nicht gesund sein.
Dass kein Krieg im Land tobt, ist nicht der einzige Maßstab für Sicherheit. In Ländern, in denen es keinen Zugang zu medizinischer Versorgung gibt, fühlen sich die Menschen nicht sicher. Wir erfahren aus jedem Bericht, dass Mütter- und Kindersterblichkeit sowie Morbidität in solchen Ländern hoch sind - was einem unsichtbaren Krieg gegen das Leben der Hälfte der Bevölkerung gleichkommt.
Frauen sind die primären Opfer, wenn Gesundheitseinrichtungen nicht ausreichend vorhanden sind. Ist die Mutter nicht gesund, wird das Kind nicht gesund geboren werden. Mit einer kränklichen Bevölkerung ist jede Art von Verbrechen in der Gesellschaft möglich.
Afghanistan ist ein Beispiel dafür, wie eng die Gesundheit der Frauen mit Frieden und die Krankheit mit Krieg in Zusammenhang steht. Einer der Gründe, warum wir einen so langen und gewaltsamen Krieg in Afghanistan hatten, ist, dass die Gesellschaft in diesem Land nicht gesund war. Die Infrastruktur für die grundlegende soziale Versorgung, soziale Gerechtigkeit, Bildung und Gesundheitsdienste waren zerstört worden und deshalb spielte Armut eine große Rolle in dem Konflikt.
Armut ist kein gutes Umfeld für das Gedeihen von Frieden und menschlicher Sicherheit. Terrorismus und Fundamentalismus, die in Afghanistan weiter schwären und der Welt viele Probleme verursacht haben, resultieren aus Armut.
Ein wichtiger Teil der Gesundheitsfürsorge für Frauen ist die gynäkologische Gesundheit, einschließlich der Familienplanung, und die eigenverantwortete Kontrolle über ihren Körper. Doch wird in Bezug auf Frauen dieses Menschenrecht auf Gesundheit aus verschiedenen Gründen oft ignoriert, eingeschränkt oder verwehrt, und zwar durch Krieg, Kultur, Missbrauch der Religion oder durch Entscheidungsträger, die Frauenrechten und dem Leben von Frauen keine Priorität einräumen.
Wenn zum Beispiel eine Frau zehn bis zwölf Kinder hat, wie kann sie ihre Gesundheit bewahren? Wie kann sie studieren oder arbeiten, um ihre Familie aus der Armut zu befreien? Woher soll sie die Zeit nehmen, um an politischen Aktivitäten und Entscheidungen, die ihr tägliches Leben betreffen, teilzunehmen?
Wenn Frauen nicht an Entscheidungsprozessen teilnehmen können, werden alle Entscheidungen von Männern getroffen, was zu männlich orientierten Vorstellungen führt. Wird dieser Ausschluss von Frauen aus Entscheidungsprozessen nicht aufgehoben, wird die männliche Vorherrschaft in der Familie, in der Gesellschaft und im Staat fortbestehen und Frauen werden sich nie aus ihrer Benachteiligung befreien können und zur Selbstständigkeit gelangen.
Ein weiteres Beispiel für den versteckten Krieg gegen Frauen ist HIV/Aids. Aufgrund ihrer Körperstruktur und ihrer Stellung in der Gesellschaft sind Frauen anfälliger für den Virus. Es gibt Länder, in denen kein heißer Krieg oder Konflikt herrscht, doch Tausende von Frauen und Kindern an HIV/Aids sterben. Die Mehrheit der Opfer von HIV/Aids sind Frauen.
Wir können nicht davon sprechen, dass Staaten Frieden und Sicherheit genießen, wenn so viele Frauen täglich aus vermeidbaren Gründen wie HIV/Aids, Schwangerschaft und häuslicher Gewalt sterben. Frauen sind die Mehrheit der Weltbevölkerung. Frauen müssen gesund sein, wenn wir wollen, dass die Menschheit gesund ist und in Frieden lebt.

Sima Samar ist Ärztin und Vorsitzende der Unabhängigen Menschenrechtskommission Afghanistans (AIHRC). Sie war die erste stellvertretende Premierministerin und Ministerin für Frauenangelegenheiten in Afghanistan sowie Direktorin der Organisation Shuhada, die zwölf Kliniken und vier Krankenhäuser für Frauen und Kinder sowie 60 Schulen in Afghanistan und Pakistan unterstützt.

 

Der Einsatz von Frauen für Gerechtigkeit und Sicherheit im Bereich der Umwelt
Doris Wastl-Weber

Umweltprobleme und Gesundheitsbedrohungen sind für Frauen ein besonderes Anliegen, da in den meisten Kulturen die Frauen für das Überleben, die gesunde Ernährung und das Wohlergehen der Familie verantwortlich sind. Dies liegt an den weltweit vom Geschlecht abhängigen Umweltrechten und Verantwortlichkeiten sowie der geschlechtsbezogenen Arbeitsteilung. Und wie das folgende Kapitel zeigt, behaupten viele Frauen, dass es keinen Frieden geben kann, solange es keine Gerechtigkeit und Sicherheit gibt. Frauen kämpfen für Umweltgerechtigkeit und Umweltqualität sowie für das gleiche Recht auf den Besitz an Ressourcen. Im Kampf für ihre Belange entwickeln Frauen neue Arten von politischem Aktivismus und versuchen, die traditionellen Machtverhältnisse, die Frauen gewöhnlich an den Rand drängen, zu verändern. Die Aktionen von Frauen, die für eine gesunde und sichere Umwelt kämpfen, konzentrieren sich weltweit auf fünf Schwerpunktthemen:

Bewusstseinsbildung und Erziehung
Mehrere FriedensFrauen konzentrieren sich besonders auf die Bildung im Bereich Umweltschutz und ökologische Sicherheit, indem sie das Bewusstsein für globale Risiken und Nachhaltigkeit wecken und gewaltfreie Denkweisen und Möglichkeiten im Umgang mit der Natur fördern. Unter unseren nominierten Frauen arbeiten besonders Vandana Shiva, Felícitas Estela, Linares Meneses und Olga Doronina auf diese Weise. Allerdings sind in beinahe allen anderen Projekten die Weckung des Problembewusstseins und die Verbreiterung von Bildung und Kenntnissen ein gewollter Nebeneffekt der vorrangigen Ziele.

Umwelt- und Gesundheitsschutz
Viele Frauen sind weltweit im Kampf gegen Zerstörung und Verfall der Umwelt sowie gegen die Gesundheitsrisiken engagiert, die durch riesige Infrastrukturinvestitionen wie Staudämme, Kernkraftwerke und Gaspipelines verursacht werden. Viele von ihnen versuchen, die bereits verursachten Schäden zu heilen. Im Kontext der 1000 FriedensFrauen erstrecken sich diese Aktionen von Projekten zur Unterstützung der Bevölkerung nach den Super-GAUs von Bhopal und Tschernobyl bis zu einer eher strukturellen Kritik, die von Irina Gruschewaja, Alla Jaronschinskaja, Solange Fernex, Suliana Siwatibau, Nabeela Al-Mulla, Gabriela Ngirmang, Helen John, Rebecca Johnson und Rosalie Bertell geübt wird. Obwohl es ihr gemeinsames Ziel ist, Menschen vor Gesundheitsbedrohungen zu beschützen, haben sie unterschiedliche Schwerpunkte: Während einige eindeutig gegen Kernkraft sind und versuchen, die Gefahren und Schäden, die bereits akut geworden sind, öffentlich zu machen, arbeiten andere auf globalem Niveau gegen die atomare Kolonialisierung ihrer Lebensbereiche. In weiteren Projekten bringen Frauen wie Leelakumari Amma, Bhinand Chotirosseranee und Dawan Chantarahassadee scheinbar lokale oder regionale Probleme wie Abwasserbehandlung, Chemieabfall und Pestizidanwendung zur Sprache, doch letztendlich sind auch dies Themen der weltweiten ökologischen Sicherheit.

Bewahrung der biologischen Vielfalt
Da Frauen häufig in der Landwirtschaft für den Eigenbedarf arbeiten und für die Ernährung ihrer Familien verantwortlich sind, werden ihnen die negativen Veränderungen der Umwelt und ihre Folgen intensiv bewusst. Deshalb kämpfen Frauen für biologische Sicherheit, für den Erhalt der Umwelt, für den Schutz von ursprünglichen Wäldern, Marschland, Böden und Grundwasser. Auf den folgenden Seiten finden sich die Beispiele von Iwanka Nikolowa Letschewa, Xiaoxi Li und Julia Morton-Marr.

Besitz und Zugang zu Ressourcen
Ungleiche Besitzrechte in Bezug auf Rohstoffe sind beinahe überall ein wichtiges Umweltthema, was in der Praxis bedeutet, dass Frauen wenig oder keine Macht über Ressourcen wie Land und Wasser haben noch den Zugang zu ihnen. Der faktische oder rechtliche Ausschluss der Frauen vom Recht auf Grundeigentum in den meisten Kulturen und ihre fehlende Kontrolle über die materiellen Grundlagen – zum Beispiel Vieh – ihres täglichen Lebens sind ständige, potenzielle Konfliktquellen. Einige Frauen, wie Maude Barlow oder Samia Ibrahim kämpfen gegen diese asymmetrische und ungerechte Verteilung von Mitteln und Möglichkeiten.

Nachhaltige Entwicklung
Das grundlegende Ziel aller nominierten FriedensFrauen ist eine gesunde, sichere, gerechte und gewaltfreie Lebensumwelt und danach streben sie auf verschiedene Art und Weise. Aber einige konzentrieren sich besonders auf eine nachhaltige und an der Natur orientierte wirtschaftliche Entwicklung, die auch die natürlichen Ressourcen erhält und Frauen hilft, Einkommen zu schaffen und ihnen hilft, bei ihrer Arbeit weniger gefährdet zu sein. Sabine Lichtenfels, Grace Aboh, Zakia Arshad und Nguyen Thanh Hien verbinden Umwelt und Überleben, indem sie Projekte anstoßen und Methoden erfinden, um eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Jede dieser nominierten Frauen steht für Tausende anderer Frauen, die unter ähnlichen Umständen leben und ihr Leben und ihre Arbeit dem Schutz der Umwelt widmen, der Sicherung der Ressourcen und dem Erhalt des Friedens. Sie beginnen häufig mit sehr praktischen, lokalen Erfahrungen und schreiten dann zu hochpolitischen globalen Themen, wie das der nuklearen Kolonialisierung, fort.
Besonders in der Gegenwart sind die Auswirkungen der Globalisierung und der großen wirtschaftlichen und politischen Veränderungen auf die lokale Ebene unausweichlich. Es gibt so gut wie keinen Ort auf der Erde, an dem die menschlichen Aktivitäten sich nicht auf die Umwelt auswirken. Wir hoffen, dass der Aktivismus dieser (und anderer) FriedensFrauen und das gemeinsame Wissen, das durch das Projekt “1000 Frauen für den Friedensnobelpreis“ ans Licht gebracht wird, zu einer Änderung der Einstellungen, zu wachsender Autonomie und zu politischem Engagement sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene führen werden.

Doris Wastl-Walter ist Professorin für Humangeografie und Direktorin des Interdisziplinären Zentrums für Frauen und Gender-Studien an der Universität von Bern in der Schweiz.

 

Ökonomische Rechte und Existenzsicherung
Lau Kin Chi

Globale Zahlen über Armut sind schockierend und es gibt wenig Anzeichen für einen Rückgang. Der Tod von 30.000 Kindern, die jeden Tag an Hunger oder vermeidbaren Krankheiten sterben, wird in den Nachrichten nicht mehr erwähnt. Es scheint eine breite Akzeptanz für diese grausame Realität zu geben, so als wäre dies das passende Schicksal der Armen in Entwicklungsländern, die ein unkontrolliertes Bevölkerungswachstum haben. Wenn dieser scheinbar unschuldige "gesunde Menschenverstand“ dies so lange tolerierbar gemacht hat, ist es höchste Zeit für uns, eine solche Position in Frage zu stellen, denn auch wenn sich die Welt immer weiter entwickelt, wird sie zunehmend polarisierter, mit einer wachsenden Zahl an Menschen, die wachsender Armut und Umweltzerstörung ausgesetzt sind. Während als Folge die Lebensbedingungen härter werden und diese Härte sich im Alltag einnistet, tut das auch die Unsicherheit. Selbst die Reichen sind nicht immun dagegen, obwohl sie die Mittel haben, sich von der Gewalt abzuschotten, die das tägliche Leben all derjenigen verfolgt, denen praktisch jedes Mittel sozialer Mobilität fehlt.
Wir müssen hinter das öffentliche Gesicht der Armut schauen, um die Prozesse aufzuspüren, durch die Hunderte von Millionen von Menschen unter Bedingungen zu leben gezwungen werden, die ihnen einen angemessenen, nachhaltigen Lebensunterhalt vorenthalten – Vertreibung, Verlust von Land, Verseuchung von Wasserressourcen, Zerfall handwerklicher Fähigkeiten, ein grausamer, ausbeuterischer Arbeitsmarkt, das Anschwellen der Reihen der Arbeitslosen, die Zerstörung unterstützender Verwandtschafts- und Gemeinschaftsnetzwerke. Dies erlaubt uns vielleicht besser zu verstehen, dass "Modernisierung“' und “Entwicklung“ nicht das sind, was sie zu sein vorgeben. Nicht nur haben sie ihre vielen Versprechen nicht gehalten, sie stellen auch oft genau die Kräfte dar, welche die Bedingungen der Subsistenz von großen Sektoren der Bevölkerung zerstören. Megaprojekte wie Dämme oder Atomkraftwerke, Kämpfe um Energie und Ressourcen, die oft die Wurzeln größerer Kriege und Konflikte bilden, die modernen Projekte der Staatsbildung, welche Mehrheitsidentitäten privilegieren und kulturelle und ethnische Verschiedenheiten verleugnen, die steigende Bedeutung der Umwandlung aller Werte in Waren und Geld auf Kosten menschlicher Beziehungen und Gemeinschaften, der Ersatz von Anständigkeit und dem Prinzip der Gegenseitigkeit durch Habgier und Gleichgültigkeit als vorherrschende Werte ... dies sind Probleme, die jetzt so ernst erscheinen, dass viele sie als Signal für den Verlust der Hoffnung sehen, manchmal sogar als Vorboten des apokalyptischen Niedergangs der Menschheit.
Dennoch, trotz dieses oft sehr realen Weltuntergangsszenarios, gibt es Hoffnung. Es muss erinnert werden, dass die Welt heute nicht nur von Kapital, Habgier oder Egoismus regiert wird. Viele der Enteigneten und Entrechteten weigern sich als Opfer darauf zu warten, dass notdürftige humanitäre Hilfspakete vom Himmel fallen. Schweigend, entschlossen, ausdauernd, unsichtbar, haben sie einen mühsamen Weg gewählt im Streben, aus den Fragmenten etwas Neues aufzubauen, die Bedingungen für Selbstständigkeit wiederherzustellen, sich von globalisierenden Kräften abzukoppeln, in ihren peripheren Anstrengungen zu beharren, im Zwielicht, vom Fortschritt vergessen. Sie sind überzeugt davon, dass uralte, traditionelle Weisheiten, Werte und Lebensweisen nicht ausgelöscht werden können, nur weil sie für "primitiv“ gehalten werden, dass eine andere Welt möglich ist als die düstere Welt der Korruption und des Verbrechens. Ihre Botschaft an die Welt der Neonlichter und Kasino-Ökonomien ist unmissverständlich: Wenn es nicht eine bedeutende Veränderung des derzeitigen Weges der sogenannten "Entwicklung“ und "Modernisierung“ gibt, dann werden nicht nur die Armen leiden, sondern auch die Reichen und Mächtigen, die stürzen werden, wenn die ökonomische Luftblase platzt.
Alternative Weisen des Lebensunterhalts, bei denen Menschen mit Zurückhaltung und Bescheidenheit mit anderen Menschen, anderen Lebewesen und mit der Natur leben, sind bei den alten Völkern und auch in ländlichen und randständigen Gemeinschaften zu finden. Für diese Gemeinschaften besteht die Existenzsicherung, der Lebenserhalt, nicht nur aus Geldverdienen, Kapitalakkumulation oder Warenkonsum; der Mensch ist nicht nur ein ökonomisches Wesen, sondern auch ein kulturelles und soziales Wesen. Die bewegenden und inspirierenden Geschichten der Frauen auf den folgenden Seiten zeigen viele solcher Alternativen, die jeden Tag gelebt werden, in verschiedenen Kontexten und unter verschiedenen Einschränkungen. Sie zeigen uns, wie Tausende FriedensFrauen für nachhaltigen Frieden arbeiten. Sie erinnern uns an alternative Praktiken und Weisen zu denken und zu sehen, sich aufeinander zu beziehen und sich auf die Natur zu beziehen. Die Inbesitznahme von Wissenschaft und Technologie in der modernen Entwicklung wird durch die Sprache des Fortschritts, der Effizienz und der kalkulierten Rationalität ermöglicht. Diese Sprache und ebenso die vielen kulturellen Prozesse, die an dieses Projekt geknüpft sind, arbeiten daran, Habgier zu entfesseln und sie mit mächtigen Mitteln der Kontrolle und Zerstörung für die Aneignung von Ressourcen und Energien der Natur und der Menschen auszurüsten. Die folgenden Geschichten zeigen uns die Bedeutung anderer kultureller Prozesse, durch die andere Einstellungen als die der Arroganz und der Habgier kultiviert werden. Sie zeigen uns, dass, ohne eine Veränderung im Denken, ohne auf eine "Ökologie des Geistes“ zu achten, keine politischen Prozesse die Frage der Gewalt lösen und das Gleichgewicht erreichen können, das nötig ist, damit Menschen in Frieden und Harmonie existieren können. In diesem Geist ehren wir mit diesen Geschichten die unverzichtbare Forderung nach ökonomischen Rechten für eine nachhaltige Lebensgrundlage.

Dr. Lau Kin Chi unterrichtet Vergleichende Literaturwissenschaft, Kritische Pädagogik, Globale Kultur, Lokale Regierungsführung und Verhandlung in Gewaltszenarien an der Abteilung für Kulturelle Studien, Lingnan University, Hongkong. Sie ist Redaktionsmitglied der Cultural and Social Studies and Asian Exchange (Kulturelle und Soziale Studien und Asiatischer Austausch), ein Gründungsmitglied des China Social Services and Development Research Center (Chinesisches Forschungszentrum für Soziale Dienste und Entwicklung).

 

Politik und Regierungsführung
Peter Maurer

Wo immer heute über globale Politik debattiert wird, erinnert die Vielzahl an Meinungen darüber, wie Sicherheit und Frieden am besten zu fördern und zu garantieren seien, am anschaulichsten die Redewendung, dass in der Politik nichts so strittig sei wie der Frieden. Soll die internationale Gemeinschaft die Aggressoren sanktionieren oder mit ihnen verhandeln, soll sie sich mit unmittelbaren Bedrohungen befassen oder zuerst die Grundursachen von Konflikten angehen, soll sie in jedem Fall auf der Einhaltung der Menschenrechte beharren oder Kompromisse eingehen, wenn auf diese Weise kurzfristig Menschenleben zu schonen sind?

Um solche Fragen beantworten zu können, werden öffentliche Richtlinien artikuliert, Instrumentarien und Institutionen geschaffen, wird über Normen und Gesetze entschieden und es werden ihre Mechanismen entwickelt. Wenn Friedenspolitiken formuliert werden, ergeben sich einige Herausforderungen:
der Kampf um einen ganzheitlicheren Ansatz in Bezug auf Frieden, Sicherheit und Entwicklung, Menschenrechte und humanitäre Einsätze, während zugleich Defizite in den Reaktionen der internationalen Gemeinschaft auf komplexe Notfälle von Darfur bis zur Region der Großen Seen, von Zentralasien bis Zentralamerika, offensichtlich sind;
die Herausforderung, mehrspurige (multi-track) Friedensprozesse für verschiedene Interessengruppen (multi-stakeholder) zu etablieren;
die Notwendigkeit, humanitäre Einsätze klar von politischen und sicherheitsgesteuerten Interventionen zu unterscheiden, zumal die Schwachstellen übergreifender politischer Logik ihren Tribut fordern; dadurch wird unzureichend unterschieden zwischen humanitären und politischen Unternehmungen und es werden Fragen bezüglich der Unvoreingenommenheit von humanitären Einstellungen aufgeworfen;
die Bedeutung der durchgehenden Berücksichtigung der unterschiedlichen Geschlechterrollen von Männern und Frauen bei der Analyse, den Handlungsstrategien und den Aktionen (gender-mainstreaming) für die Friedenskonsolidierung, da wir fast täglich daran erinnert werden, dass die Kriege der Männer nicht Kriege von Frauen und der Frieden der Männer nicht ein Frieden von und für Frauen ist;
die Notwendigkeit eines besseren Verständnisses der Rolle der lokalen und globalen Akteure, ihrer Funktion und ihren Möglichkeiten zur Kooperation;
die Notwendigkeit, Schlüsselbereiche der Friedensstiftung in Nachkriegs- und Nachkonfliktsituationen substanzieller zu unterstützen, insbesondere Reformen des Sicherheitssektors, Abrüstung, Demobilisierung und Reintegration von Kampfsoldaten und –soldatinnen sowie Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit;
die Frage, wie öffentlich-private Partnerschaften (public-private partnership) funktionsfähiger gestaltet und für die ökonomische Entwicklung, für Frieden und Menschenrechte besser nutzbar gemacht werden können.

Mit der Liste wachsen auch die Dilemmata der öffentlichen Richtlinien:
das Dilemma, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Stärkung des Staates und der Stärkung der Zivilgesellschaft zu finden;
die Dilemmata zwischen Ansätzen, die auf Recht basieren und Ansätzen, die auf Bedürfnissen basieren, zwischen situationsbezogenen und transformierenden Ansätzen;
das Dilemma der Prävention; während präventive Ansätze zunehmend als notwendig und nützlich betrachtet werden, bleiben sie schwer zu finanzieren und entbehren häufig der anhaltenden politischen Unterstützung;
das Dilemma zwischen regionalen oder gruppenspezifische Ansätzen einerseits und globalen Bestrebungen andererseits. Wie kann die internationale Gemeinschaft spezifische Bemühungen unterstützen, ohne globale Standards zu untergraben?

Die Fähigkeit, kreativ auf einige dieser Herausforderungen zu reagieren, ist zentral für die UN und für die Stärkung multilateraler Ansätze zum Friedensaufbau und zur Friedenskonsolidierung. Die internationale Gemeinschaft und das gesamte UN-System haben im September 2005 die einmalige Gelegenheit, einigen maßgeblichen Reformen zuzustimmen. Die breitere konzeptuelle Einigung über den Aufbau von Frieden nach einem Krieg oder (bewaffneten) Konflikt, über die staatliche Verantwortung, Schutz zu gewähren, über Gewaltanwendung, Terrorismus und Waffensperrverträge sind wichtige Grundlagen für eine institutionelle Reform der Vereinten Nationen, wie zum Beispiel die Schaffung einer Kommission für Friedensaufbau (peace-building commission) und eines Menschenrechtsrats (human rights council).

Während sich die internationale Gemeinschaft bemüht, ihre Führung in Sachen Frieden zu verbessern, liegen die größten Herausforderungen auf nationaler Ebene, wo eine Einigung über Gesetze und Institutionen oft schwierig ist. In vielen Ländern hat sich allerdings ein politischer Konsens herausgebildet, dass die Schaffung und Expansion des Raumes für demokratische Politik, eine transparente Gesetzgebung und die Achtung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit entscheidende Faktoren einer effektiven Friedenskonsolidierung sind.

Noch wichtiger ist es, die kulturelle Lücke, die zwischen den politischen Welten von Männern und Frauen klafft, zu schließen – die Transformation des politischen Raumes aus der Geschlechterperspektive (gender perspective) ist ein ganz entscheidender Faktor. Die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts haben gezeigt, dass Frauen im Verlauf von Konflikten und Kriegen spezifische Bedürfnisse haben. Sie sind bei den zunehmend auf Zivilistinnen und Zivilisten, auf Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge (idp) gerichteten Angriffen besonders gefährdet und zudem der sexuellen Gewalt von Männern, Soldaten und sogar von Seiten der Friedenstruppen ausgesetzt. In diesem Kontext ist es notwendig, Rechenschaftspflicht, Null-Toleranz und neue Prioritäten zu fordern, um diese Problemfelder anzugehen und zu beseitigen.

Noch deutlicher haben die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt, dass Frauen einen bemerkenswerten Widerstand gegen Gewalt und Verstöße gegen Grundrechte entwickelt haben und zu beeindruckenden Vertreterinnen von Friedensaufbau und Friedenskonsolidierung geworden sind. Diese Bemühungen bedürfen der gezielten Unterstützung und Förderung auf nationaler und zwischenstaatlicher Ebene.

Wenn der Krieg der Männer nicht ein Krieg der Frauen ist, müssen spezifische Probleme aufgegriffen werden. Wenn der Frieden der Männer nicht ein Frieden von und für Frauen ist, benötigen die Bemühungen von Frauen mehr Raum, um ihr volles Potenzial entfalten zu können.

Peter Maurer, Dr. phil., Botschafter und Ständiger Vertreter der Schweiz bei den Vereinten Nationen in New York. Peter Maurer hat Geschichte und Internationales Recht studiert und ist seit fast 20 Jahren Mitglied des Schweizer Diplomatischen Dienstes. Er konzentriert sich vor allem auf Menschenrechts- und Friedensfragen. In diesem Artikel verleiht er seiner persönlichen Meinung Ausdruck und vertritt nicht das Eidgenössische Außenministerium.

 

Gerechtigkeit und Frieden
Walter Kälin

Kann es Frieden ohne Gerechtigkeit geben? In Situationen nach Konflikten ist die Antwort sehr oft "Ja.“ Als ich vor einigen Jahren Indonesien besuchte, um darüber mitzuberaten, wie am besten ein Gesetz zu entwerfen sei, das die strafrechtliche Verfolgung und Bestrafung derjenigen erlaubt, die für die Gräueltaten des indonesischen Militärs und seiner Verbündeten in Osttimor vor der Unabhängigkeit verantwortlich waren, gaben mir sogar regierungsunabhängige Menschenrechtsorganisationen zu verstehen, dass es wichtiger sei, die Harmonie wieder herzustellen, als die Verantwortlichen vor das Gericht zu bringen.
Im gegenwärtigen Konflikt zwischen den Maoisten und der königlichen Armee in Nepal glauben beide Seiten, dass die Bestrafung derjenigen aus ihren eigenen Reihen, die Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt haben, die Kampfmoral untergraben und ihre Fähigkeit schwächen würde, den Kampf zu gewinnen.
In Bosnien-Herzegowina wurde vor einiger Zeit für die Idee geworben, dass Versöhnung möglich sei, wenn serbische und bosnische Mütter, die ihre Söhne verloren hatten, zusammen trauern könnten. Dies funktionierte jedoch nicht, weil die Frauen, deren Angehörige in Konzentrationslagern oder durch ethnische Säuberungen und Völkermord umgekommen waren, nicht mit den Müttern von im Kampf gefallenen Angreifern mitfühlen konnten. In Serbien betrachtet ein großer Teil der Bevölkerung die Kriegsverbrecherprozesse in Den Haag nicht als ein Instrument der Wahrheitsfindung, sondern als ein Mittel, das serbische Volk einmal mehr zu demütigen.
Im Sudan und in Uganda sind Menschen der Auffassung, dass die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs ein ernstes Hindernis für die Beendigung des Konflikts seien, da man diejenigen in verantwortlichen Positionen nicht davon überzeugen könne, einander friedlich die Hand zu reichen, wenn sie damit rechnen müssen, am Tag nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens zur Gerichtsverhandlung nach Den Haag geschickt zu werden.
Staaten und Gesellschaften finden unterschiedliche Wege, die Notwendigkeit, Gräueltaten aus der Vergangenheit anzusprechen, zu umgehen. Manchmal handelt es sich um offene Verleugnung – entweder durch Totschweigen der Geschehnisse oder dadurch, dass man sich selbst stets als Opfer sieht und den Feind für alles verantwortlich macht. In anderen Fällen wird vielleicht die Wahrheit eingestanden, aber eine Kultur der Straffreiheit macht es unmöglich, die für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Kultur der Straffreiheit wird legalisiert, wenn im Namen der Versöhnung von der Regierung oder dem Parlament eine Generalamnestie erlassen wird. In den meisten Fällen bleiben die Schuldigen an der Macht und traumatisierte Opfer müssen ihnen im täglichen Leben gegenübertreten.
Während diese Strategien oft dazu gedient haben, schwache Friedensabkommen zu stabilisieren, stehen sie nicht im Einklang mit den Anforderungen internationaler Menschenrechtsgarantien. Von allen internationalen Organisationen zur Überwachung der Menschenrechte wird anerkannt, dass Mord, Folter oder Verschwinden von den zuständigen nationalen Behörden untersucht und die für die Taten Verantwortlichen strafrechtlich verfolgt werden müssen. Die Strafverfolgung darf nicht dem Ermessen der Behörden überlassen werden, es ist ein Anrecht der Opfer.
Ein noch wichtigerer Grund dafür, den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, stellt die Tatsache dar, die der amerikanische Schriftsteller William Faulkner in seinem "Requiem für eine Nonne“ anführt: "Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist noch nicht einmal vergangen.“
Wie die historische Erfahrung zeigt, ist Frieden ohne Gerechtigkeit oft nicht nachhaltig. Er ist lediglich ein Schritt, um einen Konflikt einzufrieren oder bestenfalls eine Periode der Ruhe zu erwirken, die jedoch flüchtig ist. Denn solche Situationen tragen die Saat neuer Gräueltaten in sich. Um wirklichen Frieden zu erreichen, muss Gerechtigkeit hergestellt und auch als solche sichtbar werden. Doch was bedeutet das?
Wahrheit, Verantwortlichkeit und Versöhnung sind hier die Schlüsselelemente: Zuerst muss die Wahrheit festgestellt werden. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen, von der Eröffnung einer freien, öffentlichen Debatte, wo Journalismus, Wissenschaft und Kunst Licht auf die Geschehnisse werfen können, bis hin zu offiziellen Untersuchungskommissionen, Wahrheitskommissionen oder sogar strafrechtlichen Ermittlungen. Zweitens müssen diejenigen, die Gräueltaten verübt haben, zur Rechenschaft gezogen werden, indem ihnen entweder die Möglichkeit gegeben wird, aufrichtig zu bereuen (wie es bei der Südafrikanischen Wahrheitskommission der Fall war) oder indem sie vor Gericht gestellt werden.
Im Prinzip müssen alle, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt haben, in jedem Fall bestraft werden. Natürlich dürfen solche juristischen Verfahren nicht darauf reduziert werden, dass die Sieger das Recht austeilen, sondern es müssen die von allen Seiten verübten Verbrechen angesprochen werden.
Während es wichtig ist, darauf zu bestehen, dass wahrer Frieden nicht ohne Gerechtigkeit für die Opfer erzielt werden kann, muss man hinsichtlich der besten Strategie zur Erreichung dieses Ziels realistisch sein. Die Wahl der Methode und des Zeitpunkts mag vom Wesen des in Frage stehenden Konflikts, von der Geschichte und dem kulturellen Kontext des jeweiligen Landes oder von der Dynamik des Friedensprozesses abhängen. Doch solche Überlegungen sollten nur Einfluss darauf haben 'wie’, nie aber 'ob’ den Überlebenden von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie den Familien derjenigen, die aufgrund dieser Gräueltaten ermordet wurden oder vermisst bleiben, Gerechtigkeit zuteil werden kann.

Dr. jur. Walter Kälin ist Professor für Verfassungsrecht sowie Internationales Öffentliches Recht an der Universität Bern, Schweiz. Er ist Mitglied des Menschenrechtskomitees der UNO und Vertreter des UNO-Generalsekretärs. Dieser Beitrag gibt ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

 

Tausend pädagogische Wege zu einer globalen Friedenskultur
Noa Zanolli Davenport, Ph.D.

“Frieden ist der Weg”, sagte Gandhi. Die tausend Frauen zeigen uns tausend und mehr Möglichkeiten der Erziehung zu einer Kultur des Friedens. Jede der Frauen ist ein Beispiel für Frieden, eine Lehrerin, die Frieden bereits durch ihre Taten und Worte bewirkt.
Jede der Frauen hat in ihrem Teil der Welt, in ihrer Umgebung, auf ihre eigene, einzigartige Weise ihren unschätzbaren Beitrag geleistet zur Erschaffung einer harmonischeren, umfassenderen, gerechteren und sichereren Welt. Diese Frauen haben durch ihre Integrität, ihren Scharfsinn und ihren Sinn für das Dringliche für Millionen von Menschen einen Unterschied gemacht.
Von den 1000 Frauen wurden über hundert dafür nominiert, dass sie Bildung und Erziehung für den Frieden zu ihrem Lebenswerk machen und dabei hervorragende Führungsfähigkeiten bei der Aufgabe, die Gesinnung und das Bewusstsein von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu erweitern, beweisen.
Im Wesentlichen erreichen sie dies auf drei Arten: Sie ändern die wirtschaftlichen Bedingungen durch die Stärkung (empowerment) der Menschen und Gemeinden; sie schreiben und lehren in ihrer politischen Arbeit oder als Akademikerinnen über Frieden; oder sie vermitteln der Öffentlichkeit Fähigkeiten zur Konfliktlösung.
Einige von ihnen wählten Bildung als ihren Weg, unwürdige menschliche Bedingungen gewaltlos zu verändern, und erschließen neue Möglichkeiten, Leben zu verbessern. Ihre Errungenschaften sind der Beweis, dass es möglich ist, die Welt durch Bildung zu verändern, ohne auf Gewalt zurückzugreifen, wie widrig und erbärmlich die Umstände auch sein mögen.
Andere werden von einer geistigen Überzeugung angetrieben, wenn sie über die Kunst und die Wissenschaft, Frieden zu stiften, forschen, schreiben, sprechen und unterrichten.
Getrieben von einem Gefühl der Dringlichkeit erkennen diese Frauen, dass Bildung für den Frieden ein langfristiges Unterfangen ist, ein kontinuierlicher Vorgang ohne Ende, der äußerste Hingabe und Ausdauer erfordert.
Was haben diese Frauen genau gemacht? Wie machten sie es? Was beinhalten ihre Lehren und was bedeutet ihre Arbeit für uns alle?
Diese Frauen merzen Analphabetentum aus und emanzipieren Mädchen und Frauen in abgeschiedenen Dörfern in Malawi und Indien; ermöglichen praktische Bildungsprogramme zur Konfliktlösung am Arbeitsplatz, in Schulen, Universitäten und Gemeinden in Australien; verbreiten friedensorientierte Lehrpläne in den Philippinen; gründen Universitäten in Bangladesch; unterrichten Menschenrechte und Frauenrechte als Akademikerinnen oder Politikerinnen in Ländern, in denen patriarchalische Strukturen noch in kulturellen Traditionen verwurzelt sind; sie nutzen das Radio, um Millionen von ausgegrenzten Menschen in abgelegenen Orten von Brasilien zu bilden; errichten Schulen für blinde Kinder in Tibet; ändern die politischen Grundsätze, um mehr Gleichheit und Selbstbestimmung in Indien zu sichern. Sie fördern die Frauenbildung in Saudi-Arabien; lehren Friedenswissenschaft in den Vereinigten Staaten oder rund um den Globus.
Worin ihre Arbeit auch bestehen mag, diese Frauen verbreiten die Nachricht, dass ein umfassendes Wissen und fundamentales Verständnis der Welt über die eigene Erfahrung hinaus die grundlegenden Voraussetzungen für den Frieden sind.
Ihre Arbeit gründet auf der Hoffnung, die - mit den Worten Deepak Chopras - “Verleugnung entlarvt, ein Ende der Gleichgültigkeit inspiriert, Konflikte aufgreift, stilles Leiden beendet, die Situation von Opfern verändert und schließlich zur Verwirklichung führt“.
Das ist genau, was diese Friedensakteurinnen tun: Sie entlarven, inspirieren, befähigen zur Konfliktlösung, verändern Gesinnungen und verschieben Perspektiven. Sie machen Menschen stark, selbst Verantwortung für ihr Schicksal zu übernehmen.
Obwohl mehr als hundert Frauen für ihre besonderen Leistungen im Bildungswesen nominiert wurden, sind alle der 1000 Frauen, jede auf ihre eigene Weise, Pädagoginnen. Durch ihr Beispiel sind sie alle Lehrerinnen und Führerinnen. Sie lehren eine Kultur des Friedens, weil die Bedeutung ihrer Arbeit weit über den unmittelbaren Kontext ihres individuellen Engagements hinausreicht.
Sie lehren uns immer wieder, dass jeder Mensch einen Unterschied macht. Sie zeigen uns, dass Frieden ganz bewusst geschaffen werden kann, überall – in einem selbst, in den Familien, in der Umwelt, in Gemeinden, in Schulen, unter Glaubensgruppen, in Organisationen und unter Nationen. Sie zeigen, dass man nicht auf Gewalt zurückgreifen muss, um seinen Willen durchzusetzen. Sie schätzen die Vernetzung und wechselseitige Abhängigkeit aller Lebewesen. Sie zeigen, dass die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft bedeutet, ein Teil davon zu sein, Verantwortung für die Gemeinschaft, für den Planeten und für alle gegenwärtigen und zukünftigen Generationen zu tragen. Und sie lehren und überzeugen durch die Kraft ihrer Vision einer umfassenden globalen Gesellschaft, an der jeder Mensch gleichberechtigt teilhat.
Und vor allem lehren sie uns, wie wir die Welt in Ordnung bringen können.

Dr. Noa Zanolli Davenport ist Beraterin der Projektgruppe. Die Pädagogin, Kulturanthropologin und Mediatorin arbeitet in der Praxis und als Beraterin im Bereich Internationale Entwicklung; in der Lehre und in Trainings arbeitet sie für Konfliktlösung in Europa, USA und Afrika.

 

Kultur als Beitrag zum Frieden
Aminata Sow Fall


Der Weg künstlerischer Kreativität führt nach meiner Überzeugung zum Frieden. Ja, Frieden entspringt aus der Akzeptanz anderer Menschen als physische, ethische und geistig eigenständige Wesen mit ihren kulturellen Besonderheiten und dem unveräußerlichen Recht, in Würde und Freiheit zu leben.
Bevor ich ein Buch schreibe, weiß ich intuitiv, dass sich daraus Begegnungen ergeben werden, Begegnungen mit Lesern und Leserinnen, die ich kenne, mit der potenziellen Leserschaft, mit der ich ein gemeinsames kulturelles Erbe teile, und mit der großen Leserschaft, die sich in alle vorstellbaren geografischen, sprachlichen, kulturellen, ethnischen, religiösen und anderen Richtungen ausdehnt.
Ich bin sogar seit Langem davon überzeugt, dass ein Kunstwerk – besonders ein literarisches – leicht Grenzen überschreitet, auch dann, wenn Unterdrückung und Rechtlosigkeit schändliche und nutzlose Barrieren errichten. Ich begann schon sehr früh, die Welt mit Hilfe von Büchern zu bereisen, nachdem ich zunächst in vollen Zügen aus der Quelle unserer mündlich überlieferten Literatur und anderen traditionellen Formen des kulturellen Ausdrucks getrunken hatte.
Beim Lesen von Texten aus fremden Ländern war mir natürlich bewusst, dass ich neue Bereiche erkunde, mit Kulturen, religiösen Vorstellungen und Zivilisationen, die sich von den mir vertrauten stark unterschieden. Aber es war mir auch bewusst – obwohl ich damals nicht sagen konnte, warum das so war – dass etwas aus den Gestalten, die diese Texte bevölkerten, "zu mir sprach“ und mein Universum und mich selbst auszufüllen begann.
Später entdeckte ich, dass dieses Etwas unser gemeinsamer Schnittpunkt ist, der vom kreativen Akt hervorgebracht und bewohnt wird. Es ist genau der Ort, an dem unsere Menschlichkeit wohnt, der Ort, an dem wir, jenseits aller Unterschiede und der Grenzen, die uns bisweilen trennen, jenseits unserer verschiedenartigen Lebensformen, unsere Situation miteinander teilen, unsere menschliche Grundsituation mit allem, was sie beinhaltet: Fragen, Zweifel, metaphysische Diskurse, Leiden und Qual, aber auch die Suche nach dem Glück und die Träume von Größe und Ewigkeit. Als Schriftstellerin glaube ich, dass sich die gesamte Menschheit an diesem Ort zusammenfinden kann, um die Vision von einer Welt zu träumen, die nach unserer eigenen Größe erschaffen ist, in Frieden und Eintracht.

Aminata Sow Fall, eine senegalesische Schriftstellerin und Pädagogin, ist die Leiterin des Centre Africain d’Animation et d’Echanges Culturels (Afrikanisches Zentrum für Aktivitäten und Kulturaustausch) und des Khoudi-Verlags in Dakar.

 

Der Kampf ums Überleben: Minderheiten und indigene Völker
Leonardo Boff

Fast alle indianischen Gemeinschaften sind Überlebende einer jahrhundertelangen Vernichtung, die von der westlichen Kultur des Imperialismus und der Kolonialisierung begangen wurde und in deren Folge die einheimische Bevölkerung zur Minderheit im eigenen Land gemacht wurde.
Aber sie haben gezeigt, dass man sie nicht ausrotten kann. Sie sind überall, ihre Zahl steigt ständig. Sie bauen ihre Kultur wieder auf, retten ihre Traditionen und lassen ihre Religion wieder aufleben. Aufgrund der vorherrschenden Vorurteile gegen sie – dass sie nicht wirklich Menschen seien – haben die Indianer und Indianerinnen einen harten Überlebenskampf geführt. So wie es in Brasilien geschah – ihr Land wurde überfallen und viele von ihnen getötet.
Glücklicherweise haben viele humanitäre Organisationen und Religionsgruppen die Sache der Indiobevölkerung aufgegriffen und ihre Forderungen unterstützt. In all diesen Widerstands- und Befreiungskämpfen waren die Frauen präsent und aktiv. Zusammen mit den Männern haben sie hart gekämpft, um zu überleben und ihr Land zu behalten. Aber ihr größter Kampf besteht in der Frage, wie sie mit der dominanten modernen Kultur umgehen sollen. Die indianische Bevölkerung kann nicht isoliert oder wie ein Heiligtum der Natur behandelt werden. Es muss einen Austausch von Kultur und Wissen geben - aus ihrer eigenen Identität heraus, damit sie sich entwickeln und von der modernen Welt profitieren können.
Die größte Schwierigkeit ist die tief greifende Ungleichheit in der Beziehung zwischen der indianischen Bevölkerung und der modernen Welt. Es ist wie bei David und Goliath. Goliath, die dominante Kultur, zeigt sich unversöhnlich, unfähig, seinen Geist zu öffnen und von der Weisheit zu lernen, die die indianischen Kulturen vermitteln können, vor allem ihr Wissen über die Umwelt, das Gemeinschaftsleben und ihr Gespür für die spirituelle Welt.
Viele Frauen haben von diesem Dialog Gebrauch gemacht, sie lernten und halfen, ihre Identität in ihren Gemeinschaften aufrechtzuerhalten, während sie gleichzeitig integrierten, was ihr Leben verbessern konnte. Wie ein Indianerhäuptling der Krenac-Bevölkerungsgruppe in Brasilien sagte: “Ich möchte einen Lastwagen für meine Gemeinschaft haben, nicht nur, um unsere Produktion zu erhöhen, sondern auch, um weniger müde zu sein, mehr Freizeit zu haben, das Leben in der Gemeinschaft genießen zu können und Feste zu feiern.”
Die Indiovölker sind wahre Umweltschützer/-innen. Sie haben gelernt, ihr Land zu bestellen, ohne der Umwelt zu schaden. Viele Menschen glauben, dass das Amazonasgebiet wildes, unkultiviertes Land sei. In Wahrheit leben dort Hunderte von Völkern, die den Urwald schützen. Die Indios verwalten 12 Prozent des Urwaldes und schaffen “Versorgungsgebiete”, wo sie Obst und Gemüse in einem begrenzten Bereich anbauen, zur Versorgung der Gemeinschaft und für andere Menschen, die vielleicht in Not sind.
Die Yanomami-Indios nutzen 78 Prozent der Baumarten in ihrem Land und kennen 100 verschiedene Arten von Manioksträuchern, ihrem Hauptnahrungsmittel, während der Rest der Welt nur zwölf kennt.
Die Indianer und Indianerinnen sagen, das Land sei ihre Mutter, weil es alles hervorbringt, was sie brauchen. Sie behandeln es daher mit Ehrfurcht und Respekt. Kein Tier wird jemals getötet und kein Baum ohne Grund gefällt, sondern nur für ein menschliches Bedürfnis. Und wenn es nötig ist, führen sie Rituale durch, in denen sie um Erlaubnis dafür bitten, damit sie das Band der Freundschaft zwischen Mensch und Natur nicht zerstören.
Solche Werte sollten uns dazu anregen, das Erbe der Natur zu wahren, das uns geschenkt wurde und das wir in unserer Verantwortungslosigkeit veruntreut haben. Die Indianer und Indianerinnen können uns meiner Meinung nach belehren. Wenn wir die Einstellungen und Werte, nach denen sie leben, übernehmen, werden die Pacha Mama und die Mutter des Großen Landes gerettet werden.

Leonardo Boff, Preisträger des Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis) 2001, ist ein Vorreiter der Befreiungstheologie. Durch den Vatikan wegen der Kritik an der Katholischen Kirche in seinem Buch "The Church, Charisma and Power“ (Die Kirche, Charisma und Macht) zum Schweigen gezwungen, arbeitet er weiterhin aktiv als Laienpriester unter den armen Bevölkerungsgruppen in den comunidades de base, den christlichen Basisgemeinden.